Bericht „Lernen im Prozess der Arbeit 2022“ 

Jede:r zweite deutsche Angestellte braucht mehr Freiraum zum Lernen

Lernen im Prozess der Arbeit – in Deutschland fiel der Begriff in den vergangenen Jahren häufiger, insbesondere im Kontext des akuten Mangels an digitalen Kompetenzen in hiesigen Unternehmen. Weniger als die Hälfte der kleinen und mittleren Unternehmen (45 %) investieren laut einer Studie aktiv in die Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden, um sie für die neuen Arbeitsanforderungen der digitalen und klimaneutralen Wirtschaft fit zu machen. 

Jene Unternehmen aber, die die Qualifikation der Beschäftigten in den Fokus nehmen, stehen vor großen Herausforderungen: Skills und Wissen werden heute quasi über Nacht obsolet, sodass Personalentwicklungsteams mit klassischen Schulungsprogrammen längst an ihre Limits kommen. Mitarbeiter:innen können nicht auf die Bereitstellung von Kursen warten – sie müssen unmittelbare Probleme lösen und brauchen entsprechende Lernlösungen an Ort und Stelle. 

Wie kann Lernen im Prozess der Arbeit dieses Problem lösen? Und wo stehen deutsche Unternehmen bei der Umsetzung des Konzepts? 

Unsere Ergebnisse zeigen: Die Weiterqualifizierung von Mitarbeiter:innen ist effektiver, wenn diese selbstgesteuert und im eigentlichen Arbeitsprozess lernen können. Doch vielen Personalmanager:innen sind die Hände gebunden, wenn es darum geht, den Angestellten entsprechende Lernangebote und -tools zur Verfügung zu stellen. 

Die Daten in diesem Kapitel spiegeln die Antworten von 472 deutschen Arbeitnehmern (Lernenden) und 251 deutschen Personalentwickler:innen wider.

Beschäftigte wollen lernen, um motiviert zu bleiben

Zunächst eine grundlegende Feststellung: Deutsche Beschäftigte müssen nicht nur lernen – sie wollen es auch. Knapp die Hälfte der Befragten (49 %) sagten über ihre Einstellung zum Lernen, sie nutzten jede Lernmöglichkeit, die sich in ihrem Unternehmen anbietet. Weitere 40 % nehmen an Lernangeboten teil, die für ihre Arbeit relevant sind. 

Lernen im Prozess der Arbeit Lerneinstellung Deutschland | 360Learning
50 % der Befragten geben an, dass sie jede in ihrem Unternehmen verfügbare Lernmöglichkeit nutzen.

Fragten wir Angestellte nach ihrer Motivation für das Lernen, gibt eine Mehrheit von 62 % an, durch das Lernen motiviert und zuversichtlich im Job zu bleiben. 59 % haben zudem den Ansporn, die eigene Arbeit dank Weiterbildung besser zu machen.

Lernen ist demnach ein entscheidender Faktor nicht nur für die individuelle und betriebliche Leistung, sondern auch für die Motivation und Bindung von Mitarbeitenden.

Welche Möglichkeiten haben deutsche Beschäftigte, bei der Arbeit zu lernen?

Bei der Frage nach Schulungsformaten geben Angestellte eine ganze Reihe genutzter Angebote an. Die meisten profitieren demnach einerseits von formalen Angeboten wie Online-Schulungen bzw. E-Learning (61 %) und internen Weiterbildungsprogrammen (55 %) und externen Seminaren (41 %). Andererseits geben 47 % an, sie bilden sich im Arbeitsprozess selbst weiter – und etwa ebenso viele sagen, sie lernen von ihren Kolleginnen und Kollegen. 

Die Palette der Lernmöglichkeiten erscheint breit – doch die Wirksamkeit derselben wird unterschiedlich bewertet: 

So finden nur 29 % derer, die Online-Schulungen erhalten haben, diese auch hilfreich für die Ausführung ihrer Arbeit. Immerhin 38 % sagen dies in Bezug auf interne Weiterbildungsprogramme. 

Anders sieht es aus beim Lernen von Kolleg:innen: 60 % bewerten dies als sehr wirksam. Fast ebenso gut schneidet das Lernen durch Coaches und Mentoren ab. Zudem finden 44 % das selbstgesteuerte Aneignen von Wissen im Arbeitsprozess „sehr wirksam“. 

Nur 29 % derer, die Online-Schulungen erhalten haben, finden diese auch hilfreich für die Ausführung ihrer Arbeit.

Deutliche Präferenzen zeigen deutsche Beschäftigte auch in Bezug auf den besten Zeitpunkt zum Lernen: Fast jede:r Zweite lernt am effektivsten nebenbei, im Austausch mit anderen oder durch eigene Recherche, während nur 19 % am besten in Blöcken, etwa an einem kompletten Schulungstag, lernen.  

Lernen im Prozess der Arbeit zeitlicher Aspekt Deutschland | 360Learning
47 % der Befragten lernen am effektivsten nebenbei, im Austausch mit anderen oder durch eigene Recherche.

Bei der Prüfung von Lernangeboten auf ihre Wirksamkeit gehen situatives Peer Learning, Coaching und selbstgesteuertes Lernen neben und bei der Arbeit als Spitzenreiter unserer Studie hervor. 

Lernen Mitarbeiter:innen so, wie es für sie am wirksamsten ist?

Aus der Studie gehen Lernpräferenzen klar hervor. Haben Beschäftigte aber auch die Möglichkeit, im Arbeitsalltag nach diesen Präferenzen zu lernen? 

Viele sagen: Nein. Als Grund wird am häufigsten Zeitmangel genannt (39 %). Lernen scheint demnach kein integraler Bestandteil des Arbeitslebens zu sein, sondern es muss zusätzliche Zeit gefunden werden, um sich weiterbilden zu können. 31 % können zudem nicht an Trainings teilnehmen, weil sie terminlich nicht ihren Arbeitsablauf passen. Beklagt wird nicht zuletzt, dass das Schulungsangebot nicht relevant für die eigene Arbeit ist (24 %). 

Lernen im Prozess der Arbeit Hindernisse Deutschland | 360Learning
39 % der Befragten geben Zeitmangel als Hauptgrund an, der sie vom Lernen am Arbeitsplatz abhält.

Im Gegenzug würden sich Angestellte mehr Zeit für die eigene Weiterqualifizierung nehmen, wenn diese in der Arbeitszeit stattfinden könnte und der/die Vorgesetzte dies auch unterstützt (48 %). 

Die Befragten würden zudem mehr Zeit für das Lernen einplanen, wenn das Gelernte helfen würde, besser in ihrer Arbeit zu werden (45 %) oder wenn es für eine Beförderung nötig wäre (32 %). 

Offensichtlich fehlt es vielen deutschen Beschäftigten demzufolge an Schulungsangeboten, die sich sowohl nahtlos in ihre Arbeitsprozesse einfügen, als auch direkt auf ihre Aufgaben anwenden lassen, und ihre Entwicklung befördern.

Erkennen Personalmanager:innen das Potenzial von Lernen im Arbeitsprozess?

Die gute Nachricht zuerst: Für 35 % der deutschen Personalmanager:innen hat die Förderung von Lernen im Arbeitsprozess dieses Jahr hohe Priorität. Etwa ebenso viele Befragte räumen dem Thema mittlere Priorität ein. 

In jedem fünften Unternehmen nimmt das Lernen im Arbeitsprozess dieses Jahr einen höheren Stellenwert als noch letztes Jahr ein.

Lernen im Prozess der Arbeit Priorität Deutschland | 360Learning
35% der deutschen L&D-Manager:innen geben an, dass Lernen im Prozess der Arbeit in diesem Jahr eine hohe Priorität hat.

Ein Teil der Unternehmen hat die in den Arbeitsablauf integrierte Weiterbildung also in den Fokus der strategischen Personalentwicklung genommen, um die neuen Lernanforderungen zu decken. Doch Mitarbeiter:innen haben, wie uns der erste Teil der Studie zeigt, noch nicht ausreichend Zugang dazu. 

35% der deutschen L&D-Manager:innen geben an, dass Lernen im Prozess der Arbeit in diesem Jahr eine hohe Priorität hat.

Auf welche Hürden stoßen Personalentwicklungsteams bei der Umsetzung praxisnaher Lernangebote?

Viele Personalmanager:innen würden sich dem Thema Lernen im Arbeitsprozess mehr widmen, doch es fehlen die nötigen Ressourcen an Zeit und Budget (35 %). Die Ursache hierfür mag in einem anderen Hindernis liegen: 20 % der Personalmanager:innen geben an, nicht genug Unterstützung von Seiten der Führungsebene zu erhalten, um das Lernen im Prozess der Arbeit effektiv fördern zu können. 

Lernen im Prozess der Arbeit Hindernisse Deutschland | 360Learning
35% der Personaler:innen würden dem Thema Lernen im Prozess im Prozess der Arbeit gern mehr Zeit widmen, doch es hapert an den nötigen Ressourcen und am Budget.

Mit Ressourcen für die Personalentwicklung wird oft dann gegeizt, wenn Entscheidungsträgern der wirtschaftliche Nutzen wirksamen betrieblichen Lernens nicht deutlich ist. Wird Lernen im Arbeitsprozess aber als langfristige Lösung gegen den Kompetenzmangel und damit als klarer Wettbewerbsvorteil erkannt, haben Personalmanager:innen bessere Karten, sich ein angemessenes Budget für in den Arbeitsablauf eingebettete Lernangebote zu verschaffen.

Doch Hindernisse sind auch technischer Natur: 51 % der befragten L&D-Führungskräfte gaben an, dass ihre Lernmanagementsysteme nicht effektiv mit den gängigen Unternehmenstools integriert sind, um den Lernenden die Schulungen dort anzubieten, wo sie benötigt werden.  

51 % der befragten L&D-Führungskräfte gaben an, dass ihre Lernmanagementsysteme nicht effektiv mit den gängigen Unternehmenstools integriert sind, um den Lernenden die Schulungen dort anzubieten, wo sie benötigt werden.

Ist Lernen im Arbeitsprozess die Lösung für den deutschen Skill-Gap?

Unsere Studie auf dem deutschen Markt zeigt: Angestellte wollen praxisnah und selbstgesteuert lernen. Am wirksamsten stufen sie das situative Lernen von und mit Kolleg:innen oder Coaches ein. Doch das Lernen im Arbeitsprozess wird oft ausgebremst durch mangelnde Zeit und der Zugang zu entsprechenden Angeboten.

Personalentwickler:innen haben jetzt die Chance, die Lernpräferenzen ihrer Mitarbeitenden zu erkennen und dem viel beklagten, insbesondere digitalen Kompetenzmangel mit Lösungen für das kontinuierliche Lernen im Arbeitsprozess beizukommen. Technologie kann ihnen dabei in die Hände spielen: Digitale Lernplattformen bieten die Möglichkeit, Lernbedarf zu ermitteln, Mitarbeitende in Lerngemeinschaften zu vernetzen und internes Fachwissen auf den im Arbeitsalltag genutzten Plattformen auszutauschen. So kann die betriebliche Bildung in die täglichen Arbeitsabläufe der Beschäftigten zurückkehren.

4 praktische Empfehlungen für die Förderung von Lernen im Arbeitsprozess

Im Folgenden zeigen wir Möglichkeiten auf, wie Personalentwickler:innen in Deutschland diese Lücken schließen und das Potenzial des Lernens im Arbeitsalltag nutzen können:

  1. Peer-Learning fördern: Unsere Studie ergab, dass die Beschäftigten am wirksamsten durch Erfahrungsaustausch lernen. Die Förderung einer Kultur des Peer-Learning trägt zum Wachstum des Unternehmens bei und ermöglicht es jedem Teammitglied, einen exponentiellen Einfluss auf das Unternehmen zu nehmen. 
  2. Lernbedarf in Echtzeit ermitteln: Im Rahmen der Dezentralisierung des Lernprozesses müssen Unternehmen Wege finden, Lernbedarf zu ermitteln, um ihn idealerweise während der Arbeitsabläufe zu decken. 
  3. Technologie und Integrationen nutzen: L&D-Führungskräfte sollten auf Integrationen mit Business-Tools wie MS Teams, Salesforce, Slack und HRIS-Systemen setzen, um die Lernenden dort abzuholen, wo sie routinemäßig arbeiten, sowie Ressourcen auf den Plattformen bereitstellen, die sie täglich nutzen. 
  4. Die Führung überzeugen: Beginnen Sie mit einem kleinen Pilotprojekt, das die Leistung einer Gruppe von Lernenden schnell verbessern soll. Die Daten aus diesem Pilotprojekt werden entscheidend sein, um die Zustimmung der oberen Führungsebene zu erhalten und das Lernen im Arbeitsablauf zu einer ständigen Priorität zu machen.

Weitere praktische Empfehlungen für die Einbettung des Lernens in den Arbeitsablauf finden Sie in unserem 6-Schritte-Handbuch. Sie werden lernen:

  • Welche Fehler Sie vermeiden sollten
  • Warum Sie als erste Maßnahme wiederkehrende Probleme anhand von Daten aufdecken sollten
  • Wie Sie Ihre Lernenden besser verstehen
  • Wie Sie interne Fachleute einbinden, um das Lernen im Arbeitsprozess zu erleichtern
  • Welche Arten von Ressourcen sich am besten für das Lernen im Prozess der Arbeit eignen
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Praxisnahes Lernen in 6 einfachen Schritten